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Der wunde Punkt, an dem ein toter Hund im Pfeffer liegt

Tips zur Überflüssigung des Dudens.

© 1998 Beat Gloor (text control, Zürich) und Schweizerischer Texterverband.

Hinweis: Auch wenn Beat Gloor 2002 in einer e-mail meinte, dieser text sei etwas angejahrt - ich finde ihn nach wie vor lesenswert! Andere gute sachen im archiv der textcontrol.

Eine Veröffentlichung durch Dritte ohne Genehmigung ist ausdrücklich untersagt 1.

Interpunktionspartner und Stilkomplizen nennen sie sich, Textexperten/Entertexter, Büro für angewandtes Deutsch oder Cabaret Rotstift – «text control» korrigiert, lektoriert und perfektioniert Geschriebenes für Agenturen, Verlage, Institutionen, Betriebe und Private. Dabei versteht sich Beat Gloor ausdrücklich als Partner und nicht als Konkurrenten der Sprachschaffenden. Ein Zwischenrapport der Text-As Rangers vom Stildezernat Zürich.

Wir reden, bevor wir denken können. Die Sprache bestimmt also das Denken und nicht umgekehrt. Denke ich mir. Wir verändern uns. Und mit uns ändert sich unser Sprachgebrauch. Als Summe dieser kleinen, persönlichen Veränderungen wandelt sich mit der Zeit auch die Sprache insgesamt. So bleibt sie lebendig, so bleibt sie spannend.

Die Sprache ist – gleich nach dem Küssen – das erregendste Kommunikationsmittel, das die Menschheit je entwickelt hat. Der Sprache dürfen, ja sollen bestimmte Dinge durchaus angetan werden. Sie finden sich in der Texter-Trickkiste. Bei meiner Arbeit stosse ich täglich auf Neuschöpfungen, die sich mit Witz und Originalität ihre sprachliche Unbedenklichkeitsbescheinigung verdienen.Kreative Innovation wird aber manchmal mit grammatikalischer Unbedarftheit verwechselt. Hier betreten wir das Gebiet des Lektors: Wo ist das beispielsweise durch gekommen, dass Wörter wie wodurch neuerdings auseinandergerissen werden? Ich habe da was gegen und bezweifle, dass da wer mit profitiert. Ich frage mich auch, ob scheinbar und anscheinend nun anscheinend oder nur scheinbar immer wieder verwechselt werden und wessen Fall denn nun tatsächlich dem Dativ ist. Ausserdem möchte ich vor der Gebrauchsanwendung zusatzversehener Wörterbegriffe ein- und ausdrücklich notwarnen. Auch ein Blick auf gewisse wohl jedermann bekannte von zumeist durch übermässigen Ehrgeiz geleiteten Journalisten oder womöglich gar verhinderten Schriftstellem verübten und den armen Lesern dann zugemuteten Satzungetüme lohnt sich.

Wer so schreibt, fragt sich offensichtlich nicht: Werde ich verstanden? Sondern: Wer würde es wagen, mich nicht ernst zu nehmen? Ich persönlich halte es in diesem Punkt mit Konrad Adenauer, dessen Leitspruch lautete: Je einfacher denken, ist oft eine Gabe Gottes. Ins gleiche Kapitel gehört die Verwendung von Fremdwörtern. Warum das Schimpfwort zur Verbalinjurie und das Blinklicht zum On/Off-Display wird, ist mir relativ enigmatisch. Das heisst, ich habe da schon so meine Theorie: Ich postuliere die Praxis des chronischen Abusus nonetablierter Termini als Status quo sui generis einer permanenten Frustration vis-à-vis des Faktums, dass es noch immer kein Fremdwort für Fremdwort gibt. Von den Füllwörtern sind zweifellos eigentlich die meisten als solche im Grunde letztlich irgendwie überflüssig. Es ist auch nicht nötig, alles zweimal beziehungsweise doppelt zu sagen. Diese Doppelsprache ist ja überhaupt nur allzuoft reale Wirklichkeit. Wörter wie Rückantwort, Bedeutungsgehalt, Gratisqeschenk, Behandlungstherapie oder Schlussfazit sind ebenso exemplarische Beispiele wie die seltene Rarität. Wer hat eigentlich zuerst mit diesem Unsinn angefangen?

Nach der Doppel- nun zur Schönsprache: Die friedliche Nutzung der Kernenergie ist eine schönsprachliche Meisterleistung. Die vier wunderbaren Wörter Frieden, Nutzen, Kern und Fnergie ersetzen auf einen Schlag die hässlichen Atomkraftwerke. Und die Sondermülldeponie heisst nun Entsorgungspark. Da wird die Putzfrau zur Raumkosmetikerin! Leider führt sich die Schönsprache selbst ad absurdum: Frischmilch klingt schon wieder nach Fabrik, und bei Grüngürtel denke ich eher an den Beton und die Autobahn ganz in der Nähe. Das Passiv wird viel zu oft verwendet, obwohl sich meinerseits immer wieder dagegen ausgesprochen worden ist. In diesem Punkt muss sich entscheidend gebessert werden, ansonsten sich auf ein grauenhaftes Deutsch zubewegt wird. Der Meistbietendste – haben Sie so etwas auch schon gehört? Gegen solche Steigerungsformen habe ich die schwerstwiegendsten Bedenken. Auch bei den höchstfliegendsten Flugzeugen wird mir regelmässig schwindlig. Und die maximalste Anstrengung ist genau wie die Steigerung des Wortes erster in keinster Weise zulässig. Dennoch höre ich diese offenstsichtlichst nächstliegendsten Ausdrücke überall und warte nur noch auf die endstgültigste Werbe-Headline: Das Besteste!

Die Abk. haben mittlerw. 1 eig. Dud.-Begl.-Bd. erh. In Mode sind z.Z. alternative Abk.-Fibeln, in denen z.B. unter BMW ausser Bayerische Motorenwerke auch Bring mich Werkstatt u. a. m. zu finden ist. Abk. sollen w. Ziff. verw. werden. In Prosa der geh. Art möchte ich keine u. a., u. dgl. und dergleichen lesen müssen. Abk. geh. in die Umgangs- o. Fachspr., in der Allg.-Spr. können sie sich unglü. auswi.

Wie charmant Schweizerismen sein können, zeigt uns Friedrich Glauser in seinen Romanen auf bewundernswerte Weise. Lesen Sie nur einmal die erste Seite von «Matto regiert». Aber wenn das Bleistift einen Spitz bekommt und die Spritzkannte im Ecken steht, wenn die Leute gehunken und gewunken und gemalen haben, bis dass es draussen dünkler und dünkler geworden ist dann hat das mit Scharm nichts mehr zu tun, sondern das eigentlich Schade daran ist dann, dass nicht mehr mit, sondern über den gelacht wird, wo schreibt.

Ein enger Verwandter der Schweizerismen ist das altertümelnde Amtsdeutsch. Es gedeiht vor allem in Gemeindekanzleien und bei kleineren Zeitungen. Beispiel: Beim polizeilichen Auftauchen entzog sicb der Fuchs seiner Ergreifung, indem er sich in Richtung Wald absetzte. Ich gehe sicher richtig mit der Vorbringung meines Antrags in dahin gehender Richtung, dieser Jargon sei möglichst rasch in Wegfall zu bringen.

Aus zwei richtigen Begriffen entsteht manchmal ein dritter, falscher: aus mindestens und zumindest beispielsweise zumindestens. Solche Verdichtungen sind meines Erachtens nach nicht zulässig. Auch die Vermischung bildlicher Wendungen ist sprachlich gesehen ein toter Punkt, an dem noch mancher wunde Hund auszugraben wäre, über den der Zahn der Zeit bereits hat Gras wachsen lassen. «Die Ordnung der Welt hängt von der Zucht der Sprache ab», hat Konfuzius gelehrt. Und es spielt eine grosse Bedeutung, möchte ich 2500 Jahre danach ins selbe Jagdhorn boxen, ob jemand erst mit einem Bein am Hungertuch nagt oder bereits mit dem andern am Rand des Bettelstabes endgültig im Teufelskreis versinkt.

Hochverpubeltes Ehrikum, ich komme zum Schluss. Natürlich gibt es noch jede Menge andere neudeutsche Nulldialekte. Zum Bleistift die neue Unvollständigkeit: Wobei Sie nur profitieren können! Und das zum balben Preis! Einfach indem Sie hier unterschreiben! Oder das Kunstkritiker-Desesperanto mit seinen akzidentiellen Spurengeweben in multimedialen Kompositen, deren Spannung sich in der konstruktiven Flachheit der Oberfläche in Ewigkeit perpetuiert. Oder die burschikosen Schwulitäten, welche Spontis, Studis und andere Sprachludis in einer Selbstverfreilichkeit ex aermulo schütteln (allerleihand, aber grundzipiell paletti) sowie ihr englisches Pendant, der Yuppie-Milkie-Gruftie-Alcohoolie-Szenenslang (It's all Reitnau!), der so megamässig oberheavy einfährt.

Manche Publikationen sind ja an und für sich schon Druckfehler. C.G. Jung hat über einen Geisteskranken berichtet, der als Begründung für sein jahrelanges Schweigen angab: «Weil ich die deutsche Sprache schonen wollte.» Das nenne ich eine Haltung! Denn der Mann hat recht: Wir beherrschen die Natur und das Atom und bald einmal das Weltall, aber noch immer nicht das Komma.

Davon möchte ich mich ausdrücklich nicht ausnehmen. Denken Sie nicht, dass sobald als ich als Lektor einmal etwas schreibe, in meinen Texten nicht auch ab und zu eine dieser Ungeschicklichkeiten, wie ich sie eben aufgezählt habe, . äh . ist. Auch mir passieren solche Fehler Tag für täglich, ohne es zu merken.

Aber ich habe ein Rezept. Besser gesagt einen Freund. Der ist auch Lektor.

Verwendete und weiterempfohlene Literatur:

Eike Christian Hirsch: Deutsch für Besserwisser.

Kurt Tucholsky: Sprache ist eine Waffe.

Hans Weigel: Die Leiden der jungen Wörter.

Wolf Schneider: Wörter machen Leute.


1) Trotz mehrfacher anfrage keine antwort erhalten. Bitte verwenden Sie daher den text nur für Ihre eigenen zwecke bzw werden Sie mitglied des Texterverbandes - und kaufen Sie Beat Gloors buch Staat-sex-amen (auszug) .

 

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 URL:  Created: 1997-11-06  Updated:
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