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Bunt blühen die Bläh- und Hüllbegriffe

Beschönigungen aller Art sind ein Schmiermittel unseres Alltags. Mit welchen sprachlichen Kniffen aber Kommunikationsabteilungen von Ämtern und anderen Verwaltungen die Fakten zu verhüllen suchen, geht mitunter auf keine Kuhhaut.

grafik von Gut

Urs Bühler

Sie standen schon vor Jahrhunderten auf Jahrmärkten im Dienst der Gaukler, die Blähung und ihre Schwester, die Verhüllung: Es galt, dem Publikum die Sinne zu vernebeln, Fakten und Dimensionen zu verzerren. Das wird auch heute noch gerne getan, aber vor allem mit sprachlichen Mitteln, wenn Kommunikationsstellen der öffentlichen Verwaltungen und der Wirtschaftswelt Erfolge gross- und die Misserfolge kleinzureden versuchen. Die daraus resultierenden Worthülsenfrüchte in Communiqués sind im besten Fall schwer geniessbar, im schlechteren zum Erbrechen und im schlechtesten schlicht ein Betrug am Kunden oder Wähler.

Schwurbeln statt informieren

Steigen wir ein mit einem Beispiel der harmloseren Sorte: An der Jahrespressekonferenz von Zürich Tourismus ist kürzlich in Wort und Schrift von «80 Millionen Kontakten» berichtet worden, die man über die Medienarbeit zu einem letztjährigen Grossanlass hergestellt habe. Das ist ein überaus eindrücklicher Leistungsausweis, und der Journalist versuchte sich schon all die Hände vorzustellen, die da geschüttelt worden waren. Dann fragte er nach, was genau unter «Kontakten» zu verstehen sei. Es wurde präzisiert: Die Zahl betraf bloss die kumulierte potenzielle Leserzahl der einbezogenen Medien. Das also ist aus dem guten alten Kontakt geworden in Zeiten, da man auf Facebook tausend Freunde zählt? Einige Wochen später wurde bei der Generalversammlung der Organisation derselbe Ausdruck im gleichen Zusammenhang erneut verwendet. Die hiesige Branche habe sich halt auf diese Begriffswahl geeinigt, war zu vernehmen. Die irreführende Wortwahl scheint also System zu haben.

Mit gutem Willen kann man diese Umdeutung des Begriffs «Kontakt» als Ausdruck einer gewissen Kreativität deuten. Häufiger aber zünden Kommunikationsabteilungen ihre Rauchpetarden mit fachsprachlichen Lunten. Liest man im Communiqué eines Unternehmens von «Synergieeffekten» oder «Umstrukturierungen», schwebt bekanntlich oft die unausgesprochene Massenentlassung im Raum – was uns mitten ins Kapitel der Blähungen hineinführt: Wer seine Mitteilungen aufplustert, indem er «zeitnah» statt «bald» und «Zielsetzungen» statt «Ziele» verwendet oder «nachlassende Niederschlagstätigkeit» statt «weniger Regen», hat im Handumdrehen eine Communiqué-Seite gefüllt, ohne einen substanziellen Inhalt verbreiten zu müssen. Die Schweizerische Post hat es kürzlich geschafft, in einer Mitteilung zur Schliessung von Poststellen zwei A4-Seiten mit Geschwurbel zu füllen, ohne ein einziges Mal den Abbau zu erwähnen. Sie werde ihr «Netz modernisieren», titelte sie und schrieb etwas von steigender Zahl der «Zugangsmöglichkeiten» und Ausrichtung auf die «heutigen Kundengewohnheiten». Das roch ebenso nach – verkneifen wir uns hier ein unanständiges Wort – Vertuschung, wie wenn Postfinance Strafzinsen als «Guthabengebühren» tarnt. Der Normalbürger sollte sich wohl für das Verständnis solcher Begriffe Übersetzungshilfen anlegen, wie sie für verklausulierte Arbeitszeugnisse längst im Umlauf sind.

Natürlich sind die Mittel des diplomatischen Ausdrucks nicht partout des Teufels: Im Alltag ist der Euphemismus, für den unsere Sprache reizende Synonyme wie Hüll-, Hehl- oder Glimpfwort bereithält, ein oft in bester Absicht eingesetztes Schmiermittel der Koexistenz. Das neue Kleid, das eine Freundin stolz präsentiert, nennt man doch besser «gewöhnungsbedürftig», als es gleich zum Missgriff zu degradieren, den Gratin an einer Einladung eher «würzig» statt versalzen. Und wer nicht ständig mit Begriffen wie «Sex treiben» um sich wirft, sondern auch Hüllwörter wie «miteinander schlafen» pflegt, ist inmitten kollektiver Freizügigkeit schon fast subversiv diskret. Ob man indes Unkraut zur «Spontanvegetation» adeln sollte, um die Gefühle der Pflänzchen nicht zu verletzen, bleibe dahingestellt.

Problematisch wird es indes, wenn offizielle Stellen mit besagten Mitteln Fakten zu verwedeln versuchen, um selbst besser dazustehen. Natürlich gab und gibt es Regime, deren Hang zu Hüllwörtern weit abgründiger war oder ist, etwa wenn Kriege unter dem sprachlichen Deckmantel der «Befriedung» geführt wurden. Aber auch in der beschaulichen Schweiz üben sich Behörden fleissig in Schönfärberei. Einiges davon kann man mit einem Lächeln hinnehmen. Fast schon rührend ist der Versuch der Zürcher Verkehrsbetriebe, Verspätungen mit der Lautsprecherdurchsage zu verklausulieren, ihre Fahrzeuge würden «in unregelmässigen Abständen» verkehren. Daran hat man sich ebenso gewöhnt wie an die «Immissionen», mit denen Ämter allerhand Erscheinungen als problematisch stempeln – etwa wenn sich laut einem Baurekursgericht Anwohner gegen den Bau eines Weihers wehren aus Angst vor «Froschimmissionen».

Dem juristischen Kauderwelsch werden wir uns einmal separat widmen. Ergänzen wir unser kleines Gruselkabinett lieber um einige der zahlreichen Beispiele aus der Welt der Finanzen. Nicht nur Wirtschaftskapitäne (das klingt halt schon vertrauenswürdiger als Grossunternehmer, wenn es nicht gerade mit einem wie Schettino assoziiert wird) zeigen Willen zum Verhüllen; auch die öffentliche Verwaltung versteckt sich gern hinter «negativen Zuwachsraten», stellt ein Defizit als «Aufwandüberschuss» dar und zaubert aus dem tristen Hut der Stagnation per «Nullwachstum» ein Gedeihen hervor. Mit der Unternehmenssteuerreform (USR) III schickte das Volk unlängst zweifellos auch Ungetüme wie die «zinsbereinigte Gewinnsteuer» zum Teufel (der Neuanlauf wird nun unter dem Titel «Steuervorlage (SV) 17» gewagt, um den Schweissgeruch des Scheiterns abzustreifen). Und wenn der Kanton Zürich die «Leistungsüberprüfung 2016» lanciert (kurz und kuschlig «Lü 16»), lädt er nicht zum kleinen Mathematiktest, sondern schnürt ein eisernes Sparpaket.

Vom Bespielen der Räume

Aber wir wollen hier nicht nur auf die öffentliche Hand eindreschen. Auch diverse von ihr gefütterte Berufsgattungen üben sich ja im Blähen und Verhüllen, von Pädagogen mit ihren Lehrplänen und «Kindern mit besonderen Ansprüchen» über Soziologen mit ihrem «Migrationshintergrund» (den manch störrisches Hirn beim Lesen mitunter zum «Migrationshinderungsgrund» uminterpretiert) bis hin zu Architekten: Diese bauen nicht mehr, sie «bespielen Räume» und haben es im Zusammenspiel mit Bauämtern zur Meisterschaft gebracht im verbalen Aufmöbeln ihrer Resultate. Ist eines ihrer Werke gesichts- und charakterlos, fügt es sich «harmonisch in die Umgebung ein». Wirkt es hineingezwängt wie ein Elefant in den Hühnerstall, setzt es «als Solitär einen kühnen Kontrapunkt». Tendiert sein Nutzwert gegen null, so «erhebt es sich über Zweck und Raum». Noch übertroffen wird das von einer Branche, die versucht, uns eine Skulptur aus Fäkalien als metaphysischen Spiegel der menschlichen Existenz zu verkaufen: dem Kunstmarkt. Einige Kostproben hat man soeben wieder an der Art Basel geniessen dürfen. Da bestaunten wir eine am Boden liegende Trommel, die scheinbar selbsttätig leise vor sich hin schnarrte. Und als wir gerade begannen, dieser Erscheinung eine eigene Poesie abzugewinnen, eilte der Galerist herbei, um uns wortreich über die selbstreferenziellen Intentionen des Künstlers aufzuklären. Bis die Magie verflog.

Verbale Samthandschuhe

Je abgehobener Kunstwerke erläutert werden, desto profaner oft der ihnen innewohnende Erkenntniswert. Aber klar, wenn Bild- und Baukünstler ihre Werke zerreden, ist das ihre Sache (solange mit Steuergeldern alimentierte Wettbewerbsjurys ihnen nicht auf den Leim kriechen). Ämter und Service public hingegen haben sich gefälligst der Transparenz zu verpflichten. Und dazu braucht's keine «leichte Sprache», wie manche sie für Menschen mit eingeschränkter Lesefähigkeiten fordern, sondern bloss etwas mehr Willen, klaren Wein einzuschenken. Und vielleicht einen Index, auf dem ein paar hundert vernebelnde Modebegriffe landen. Wir können gerne einen Entwurf dafür beisteuern.

Nicht zuletzt aber braucht es womöglich einen Effort von uns allen. Die Gesellschaft nämlich prägt den Trend munter mit, Fakten in Watte zu packen, statt sie nackt zu präsentieren: Man zückt unter dem Deckmäntelchen der Political Correctness die verbalen Samthandschuhe, während man sich gegenseitig die Köpfe einschlägt. Ein handfester Streit heisst heute «Lösung von Zielkonflikten», und selbst die erbittertsten Konkurrenten bezeichnen sich gegenseitig als «Mitbewerber». Was wundern wir uns also, wenn ganze Berufsgattungen sich auf die hehre Aufgabe spezialisieren, uns den Blick auf diese krude Welt umfassend zu verschleiern?

Siehe auch Bläh- und unwörter.

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 URL:  Created: 2017-06-27  Updated:
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