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Brauchen wir Ärztinnen und Ärzte?

Natürlich brauchen wir Frauen und Männer, die den Arztberuf ausüben. Auf dem Lande sogar dringend. Die Frage ist nur, ob die doppelte Schreibung, wie wir sie beispielsweise in den Packungsbeilagen von Medikamenten – fragen Sie Ihren Arzt bzw. Ihre Ärztin – vorfinden, sprachlich sinnvoll ist. Die Tatsache, dass deutsche Nomen, anders als etwa englische, verschiedene grammatische Genera aufweisen, hat dazu geführt, grammatisches und natürliches Geschlecht gleichzusetzen. Dem Genus Maskulinum wurde die Bezeichnung von Männern, dem Femininum diejenige von Frauen zugeschrieben, was linguistisch unzutreffend ist. Denn grammatisches und natürliches Geschlecht haben, nimmt man den ganzen deutschen Wortschatz, wenig miteinander zu tun. Arzt als grammatisches Maskulinum bezeichnet ebenso wenig nur Männer, wie etwa Person als Femininum nur Frauen meint.

Die Gleichsetzung von grammatischem und natürlichem Geschlecht hat vor allem Feministinnen dazu bewogen, die deutsche Sprache als eine typische Männersprache, ja als eine sexistische Sprache zu betiteln. «Männliche» Wörter wie Arzt, Lehrer, Politiker, Autor usw. täten Frauen Unrecht oder gar Gewalt an, weil ihnen qua Sprache die Existenz aberkannt werde, man sie somit als «nicht der Rede wert» empfinde. Beinahe stereotyp erfolgt dann die Forderung, diesen strukturellen Mangel des Deutschen dadurch zu beheben, dass nur noch Wörter verwendet werden sollen, die nicht a priori «männlich» zu verstehen seien.

So kommt es denn zu den verschiedensten, teilweise äusserst fragwürdigen Vorschlägen, um dem sexistischen Dilemma zu entrinnen. Ein solcher, häufig geäusserter Vorschlag betrifft die Verwendung geschlechtsneutraler Wörter. Es ist dann nicht mehr von Studenten, Dozenten und von Lehrern die Rede, sondern von Studierenden, Dozierenden und von Lehrpersonen. Sogar unsere Nationalmannschaft soll dem Nationalteam weichen. Doch die Schwäche dieses Vorschlags ist offenkundig: Geschlechtsneutrale Wortformen lassen sich, ähnlich wie Formen auf -in, längst nicht für alle Wörter finden. So existiert etwa für das Wort Laborant so wenig eine neutrale Wortform wie es für das Wort Abgeordnete eine Form auf -in gibt. Viele der neutralen Wortformen (z.B. Studierendenermässigung) sind zudem derart sperrig, dass sie beim Aussprechen fast zum Zungenbrecher werden.

Noch problematischer dürfte der Vorschlag sein, männliche und weibliche Form etwa von Personenbezeichnungen im Wortinnern durch das grosse I (VerkäuferInnen), durch die Klammerung (Verkäufer(innen) oder durch den Schrägstrich (Verkäufer/innen) kenntlich zu machen. Der Nachteil liegt auch da auf der Hand: Rein orthografische Neutralisierungen lassen sich zwar schreiben, aber nicht sprechen.

Sieht man sich in Nachbarsprachen um, entpuppt sich das Genderproblem als das, was es ist: als Scheinproblem. Sprecherinnen des Englischen, Finnischen und anderer Sprachen leben offenbar sehr gut damit, dass ihre Sprachen die Möglichkeit einer weiblichen Wortform gar nicht kennen. In den skandinavischen Sprachen gibt es zwar die Möglichkeit, feminine Wortformen zu bilden. Doch wer davon Gebrauch macht, gilt als rückständig, weil er gerade durch die sprachliche Differenzierung Ungleichheit von Frau und Mann signalisiert.

Wenn es schon eine sprachliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben soll, dann ist eine bedenkliche, nämlich Männer diskriminierende Komponente nicht ausser Acht zu lassen. Die Unterlassung femininer Wortformen wird bei Wörtern wie Professor, Pfarrer, Autor, Minister usw. kritisiert, niemals aber bei wenig prestigeträchtigen Berufsbezeichnungen wie Strassenkehrer oder Fuhrmann und noch weniger bei Begriffen wie Mörder, Lump, Täter, Spitzel und erst recht nicht bei Bezeichnungen für Personen, mit denen man sich auf keinen Fall identifiziert wie Alkoholiker, Analphabet, Taugenichts oder Versager. Das sind offenbar alles Männerdomänen. Auch darüber sollte man, wenn schon eine geschlechtergerechte Sprache gefordert wird, einmal nachdenken.

Mario Andreotti, Dozent für Neuere Deutsche Literatur und Buchautor

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 URL:  Created: 2017-08-30  Updated:
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