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Rebellion gegen die Werbesprache

In ihrem Buch «Real Talk» wehren sich eine Luzernerin und ein Appenzeller gegen sprachliche Verblödung. Für dieses «authentische Manifest» war es höchste Zeit, findet unsere Autorin. Ein Plädoyer.

Heutige PR-Worthülsen vernebeln die Sinne, sagen die Autoren – und rebellieren. Symbolbild: Getty

Dieses Buch ist ein Segen. Selbst wenn es einen englischen Titel trägt. «Real Talk» ist griffig. Schliesslich sollten es auch alle Marketing-Menschen kaufen und die greifen gemeinhin nicht nach einem Buch, das «Tacheles» heisst. Das wär zu archaisch. «Real Talk» klingt da schon viel verheissungsvoller. Vor allem, wenn es in gespraytem Neonpink daherkommt.

Die Luzernerin Ivana Leiseder und ihr Co-Autor Matthias Plattner haben ein Manifest gegen die Bullshit-Sprache geschrieben. Man liest es mit Freude und denkt ungefähr bei jedem zweiten Satz: «Ja, genau! Das sag ich schon lange!»

Man sagt es aber eben genau nicht. Zumindest nicht laut. Darum ist dieses Buch so nötig. Und wer weiss, wenn wir uns alle unseres Mitverschuldens bewusst werden und uns mit den von den Autoren zur Verfügung gestellten Werkzeugen gegen den verbalen Durchfall wehren, finden wir vielleicht wieder zu einer Sprache, die Authentizität nicht nur verspricht.

Das Buch entlarvt das Marketing-Geschwurbel

Das Buch fällt auch äusserlich auf – jedes Exemplar wurde von Hand geschnitten, gefalzt, geklebt, verschweisst und besprayt, 100 Prozent in Zürich hergestellt. Doch trotz dieses pinken, plakativen Titels ist es tatsächlich sehr verheissungsvoll. Es entlarvt nämlich mit einer erheiternden Ehrlichkeit die Sprache unserer Zeit, diesen unsäglichen Dünnpfiff an leeren Worthülsen und charakteramputierten Phrasen, jenes restlos austauschbare PR-Geschwurbel, das bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte und vernebelte Website-Palaver von Werbeagenturen, Schulen, Banken, IT-Buden, Anwaltskanzleien, Autovermietungen und allen anderen Dienstleistungsfirmen.

Wohltuend wird hier die heisse Luft aus den sprachlichen Ballon-Monstern rausgelassen, sodass sie gnadenlos zusammenfallen zu dem Nichts, das sie im Grunde sind.

Denn wenn eine Schule allen Ernstes verspricht, sie werde «die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellen» (und ich Trottel dachte, der Mittelpunkt sei die Pflege der Pausenplatz-Beete) und sich stolz als «Lebensraum» anpreist, wenn eine Content-Marketing-Firma Wert auf «eine zielorientierte Vorgehensweise» legt (ich suche leider nach einer Firma, die sich durch totale Ziellosigkeit hervortut), während ein gefühlvoller Brad Pitt sich für Chanel Nº 5 mit nichts als seinen existenziellen Gedanken in einen leeren Raum stellt und diesen dann ausfüllt mit der tiefsinnigen Erkenntnis, dass dieser Duft sein «luck, fate und fortune» sei, dann ist die Zeit gekommen, ein bisschen zu kötzeln. Oder an einem Lachanfall zu sterben. Im besten Fall aber sich zu fragen, warum wir uns diesen verbalen Stumpfsinn überhaupt gefallen lassen. Warum wir sie nicht totschlagen, all die in grottenschlechte Slogans verpackten Lebensgefühle und metaphysischen Heilsverkündungen, nach denen wir nie verlangt haben.

Sind wir einfach schon zu abgestumpft? Hat vielleicht einfach jede Zeit die Sprache, die sie verdient? Ist diese faulige Abart von Dadaismus nun die gängige Ausdrucksweise der Postmoderne – und nehmen wir diese in der uns Menschen eigenen Trägheit einfach so hin?

Von Weltkrieg-Propaganda zur PR-Schlacht

Hugo Ball würde sich im Grabe umdrehen. Und mit ihm auch gleich Karl Kraus. Beiden war die Bedrohung bewusst, die von einer entleerten, lügnerischen Sprache ausgeht. Einer Sprache, die damals die Hässlichkeit des Ersten Weltkrieges unter begeisterten Propaganda-Phrasen begrub. Und während sie Ball mit seinen absurden Versen gänzlich zu zerfetzen trachtete, drehte Kraus in seinem Drama «Die letzten Tage der Menschheit» (1915–1922) die Absurditäten des Krieges durch den Fleischwolf seiner scharfen Sprache.

Inzwischen ist der Pulverdampf von zwei Weltkriegen verraucht, die Phrase aber hat überlebt. Sie mag sich verändert haben, es sind nun andere politische Schlagwörter und neue Begriffe, die aus der Wirtschaft und dem Marketingbereich in unseren Alltag gepurzelt sind und dort bis zur Unkenntlichkeit verwässert werden.

Jedes Arbeitsumfeld ist heute dynamisch, die Hierarchien flach, die Ansprechpartner kompetent und selbstredend werden von den angestellten Kreativ-Köpfen am Laufmeter innovative oder nachhaltige Ideen entwickelt – am liebsten beides zusammen. Wären diese Leute wirklich kreativ, würden sie für ihre Einfälle sicherlich lebhaftere Wörter finden.

Kreativität in ihrer reinen, echten Form ist in den meisten Firmen überhaupt nicht mehr gefragt, geschweige denn möglich. Denn, schreiben die Autoren: «Dass insbesondere die Marketing- und Kommunikationsbranche sich schwertut mit Kreativität, verwundert nicht. Einerseits nisten sich in ihr immer mehr hochproblematische Akteure ein, andererseits wird Kreativität häufig bereits bei den Anforderungen an die Agenturen im Keim erstickt.» Und weiter: «Dann, wenn einfach die bedingungslose Umsetzung des in firmeninternen Sitzungen entstandenen banalen Konsenses gefordert wird. Mit Input von allen, politisch, hierarchisch, diplomatisch. Man will ja niemanden verärgern. Man meint dann, die eigene, häufig systembedingte Mittelmässigkeit werde dann schon kreativ, wenn man diese einfach von einer sich als kreativ bezeichnenden Agentur umsetzen lässt.»

Autorin aus der Branche, Co-Autor ohne Erfahrung

Also lasst uns aufmucken gegen die Bullshit-Sprache, lasst uns diesen Konformisten-Auflauf aufmischen, auf dass kein Wort mehr auf dem anderen bleibt. Nichts Geringeres wird in diesem Manifest verlangt. Mit Grund: Autorin Ivana Leiseder ist eine von toten Phrasen genervte Kommunikationsberaterin und Matthias Plattner einer, dessen Werk 0 Theaterstücke und 0 Romane umfasst. Wer es schafft, ohne Diplom und gar ohne brancheninternen Award irgendeines selbst erfundenen Wettbewerbs durchs Leben zu kommen, dem sollte dafür ein saftiger Preis winken.

Die Autoren zeigen weiter auf, dass die Leute, wenn sie lange genug für dumm verkauft werden, irgendwann tatsächlich dumm werden. Eine stumpfe Sprache stumpft das Gehirn ab. Und so verblöden wir alle ­allmählich an dieser Marketing-Sprache, die unser aller Leben durchdringt. Wir verlernen, «Informationen korrekt zu übermitteln, unsere Anliegen präzise auszudrücken, passende Emotionen zu vermitteln, authentische Gedanken zu formulieren und zu verstehen, was jemand genau von uns will».

Und nicht nur das. Geben wir dem Bullshit weiterhin den Platz, den er in E-Mails, in Pressemitteilungen, auf Webseiten, Firmenblogs und Powerpoint-Slides einnimmt, stirbt jedes Mal etwas von der Herzlichkeit, dem Überraschenden und Unkontrollierten, das unser Zusammenleben ausmacht.

Hauptsache kompliziert

Gemeinhin nimmt man ja gar nicht mal zu Unrecht an, dass einem die Leute mehr Kompetenz zusprechen respektive mehr bezahlen, wenn alles ein wenig «komplizierter und undurchsichtiger klingt». Die Sprache wird also willentlich dafür eingesetzt, das Gehirn des Gegenübers mit Worten zu vernebeln, die den Eindruck einer besonders tiefen Geheimwissenschaft erwecken, während sie in Wirklichkeit nichts weiter als ausgemachter Bullshit sind. Oder kurz: Shit. Oder Deutsch: Kot. Oder Schweizerdeutsch: Gaggi.

Und aus Gaggi hat nicht einmal der fähigste Alchemist je Gold gemacht. Selbst wenn der Marketing-Chemiker sein Produkt zum Glänzen bringt, wabert durch die Ritzen stets der verräterisch zähe Fäulnis-Gestank. So wie bei diesem Beispiel: «Als führender Schweizer IT-Dienstleister bieten wir Ihnen mit unserem Team von über 350 begeisterten Kolleginnen und Kollegen fundierte Kompetenz.» Was ist an diesem Satz falsch? Kompetenz ist immer fundiert, sonst würde es sich schwerlich um Kompetenz handeln. Mit solchen Pleonasmen – das sind zwei oder mehr Wörter, die das Gleiche aussagen (etwa: «weisser Schimmel») – wird besonders gern versucht, etwas vermeintlich bedeutungsvoller zu machen.

Pleonasmen und Euphemismen sind nur zwei der Indikatoren, anhand derer man Bullshit erkennen kann. Leiseder und Plattner legen in «Real Talk» die Wurzeln dieses Unkrauts frei und geben uns Werkzeuge an die Hand, mit denen wir es aus dem Boden rupfen können.

Hinweis

Das Buch kann unter www.realtalk.ch bestellt werden.

Simone Meier (Watson) [Luzerner Zeitung, 2019-07-31]

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 URL:  Created: 2019-08-03  Updated:
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