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Die Zähmung der Intelligenz

Journalistische Texte sollen klar und verständlich sein. Der Ruf nach «einfacher Sprache» ist aber problematisch

Ein paar buchstaben stark vergrössert auf dem bildschirm

Alles klar beim Lesen? Verständlich schreiben ist eine Tugend, aber wer die Sprache zu stark vereinfacht, nimmt ihr den Geist. Goran Basic / NZZ.[bild: Goran Basic, NZZ]

Der Newsletter im Postfach hatte den Betreff «Einfache Sprache für Journalisten». Versandt hatte ihn das Branchenmagazin «Schweizer Journalist». Der Newsletter enthielt sieben Regeln, wie man journalistische Texte verständlicher schreibt. Zum Beispiel: «Benutzen Sie immer die gleichen Wörter für die gleichen Dinge.» In einem Text über Medikamente solle man immer «Medikament» schreiben statt auch einmal «Tablette» oder «Pille». Weiter wird vom Konjunktiv abgeraten: Besser als der Satz «Morgen könnte es regnen» sei der Satz «Morgen regnet es vielleicht». Die letzte Regel lautet: «Lassen Sie Texte von Menschen mit Lernschwierigkeiten prüfen.»

Die einfache Sprache hat die Redaktionen erreicht. Journalistinnen und Journalisten erhalten Schreibanleitungen, die sich in anderen Bereichen der öffentlichen schriftlichen Kommunikation bereits durchgesetzt haben. Es ist das Gebot, durch das Herunterbrechen komplexer Zusammenhänge, durch eine einfache Satzstruktur und leicht verständliche Wörter möglichst viele Menschen zu erreichen.

Behörden verfassen heute Meldungen in einfacher Sprache. Parteien formulieren ihre Programme in Hauptsätzen. Museen beschreiben Kunstwerke sozusagen zweisprachig: einmal mit, einmal ohne Fremdwörter. Hersteller verzichten in Produktangaben auf Abkürzungen. Da steht Vereinfachung doch auch den Medien gut an?

Die einfache Sprache gründet in der leichten Sprache, die noch ein Grad einfacher ist. Leichte Sprache kennt auch keinen Genitiv mehr. «Der Hund des Pfarrers» wird zum «Hund vom Pfarrer». Leichte Sprache wurde ursprünglich für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen entwickelt. Einfacher gesagt: für geistig Behinderte.

Anpassung an Leseschwache

Die Gründe für die Entwicklung sind offensichtlich. Die Digitalisierung führt dazu, dass man für die Lektüre eines Textes weniger Geduld aufbringt. Liest man einen Text am Bildschirm, ist das nächste Video nicht weit. Ist für einen Leser das Wort «Aufmerksamkeitsspanne» mit 21 Buchstaben zu lang, springt er ab. Einfache Sprache rät deshalb zu weniger als 16 Buchstaben pro Wort. Der Digitalkonsum hat wiederum einen Einfluss auf die Lesekompetenz. Jeder dritte Erwachsene soll mit Schreiben und Lesen, wie er es in der Schule gelernt hat, Mühe haben. Die Pisa-Studien bestätigen das Bild bei Schülerinnen und Schülern. Die Fähigkeit, einen Text zu lesen und zu verstehen, nimmt ab.

Abgesehen von den Medien, die wollen, dass die Leser draufklicken und dranbleiben, hat einfache Sprache eine politische Dimension. Verständliche Informationsvermittlung gilt als Voraussetzung, damit man am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. So argumentiert etwa der Verein Netzwerk Leichte Sprache.

Als Journalistin ist man irritiert. Zwar liegt es im Interesse jeder Autorin, dass man sie versteht und ihre Texte zu Ende liest. Doch nun wird ihr gesagt, wie sie das erreicht: indem sie vom Leser mit der geringsten Auffassungsgabe ausgeht. Gegen eine Sprache, die Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Fremdsprachigen Barrierefreiheit ermöglicht, ist nichts einzuwenden. Wenn man aber plötzlich vor Schachtelsätzen gewarnt wird und einen «Rat-Geber» für einfache Sprache vorgegeben bekommt, wirkt der Wille zu Verständlichkeit übertrieben. Wo liegt die Grenze zu sprachlicher Inklusion? Und unterfordert man damit die Leserschaft nicht auch?

Der Verständlichkeitsforscher Frank Brettschneider sieht das Gegenteil. Für Brettschneider, der an der Universität Hohenheim Kommunikationswissenschaften lehrt, gibt es «Luft nach oben». Zwar erkennt er einen Trend zu einfacher Sprache, der von den Online-Medien ausgehe. Texte würden kürzer und knackiger – und dadurch Medientitel einander ähnlicher. So hat sich «Spiegel Online» etwa «Bild.de» angenähert. Trotzdem dürfte es für Brettschneider oft noch verständlicher sein.

Um den einzelnen Publikationen ihren Mangel aufzuzeigen, versucht er diesen zu objektivieren. Die Uni Hohenheim hat ein Bewertungssystem entwickelt, mit dem man Publikationen auf ihre Verständlichkeit prüfen kann. Satzlänge, Satzteillänge, Wortlänge, Anteil Wörter mit weniger als sechs Buchstaben. Der höchste Wert liegt bei 20. Den Wert von 20 erfüllt die leichte Sprache mit ihren Drei-Wörter-Sätzen. Während die «FAZ» den Wert 12 bis 14 erreicht, beläuft er sich bei der «Bild» auf knapp 16. Damit vermittelt das Boulevard-Blatt Informationen fast so verständlich, wie Nachrichten im Radio formuliert werden. Radio und Fernsehen gelten als Ideal für den barrierefreien Zugang zu Wissen: Man kann hier einen Satz nicht zweimal hören und zurückspringen wie in einem Text.

Inklusiver Redaktor

Inzwischen bieten verschiedene deutschsprachige Medien Texte oder Sendungen in einfacher Sprache an. Dies hält man für umso notwendiger in einer Krise wie der Corona-Pandemie, in der die Bevölkerung breit informiert werden sollte. Zumal die Pressemitteilungen der Bundesregierungen zu Covid-19 zu wünschen übrig liessen: Frank Brettschneider kam mit seinem Verständlichkeitsindex auf einen Wert von 7,4. Schon länger bietet die österreichische Presseagentur APA täglich Nachrichten in einfacher Sprache. Dafür wurde ein inklusiver Redaktor angestellt, der eine Lernschwäche hat.

Nun ist eine Agenturmeldung noch keine Afrikareportage und ein amtliches Bulletin noch keine Buchkritik. Ergibt sprachliche Vereinfachung in einem Text Sinn, ist sie im andern verfehlt. Neben der Textsorte spielt auch das Zielpublikum eine Rolle.

Sprache wandelt sich, und so verändert sie sich auch in journalistischen Texten. Digital Natives schreiben in kurzen Hauptsätzen, da sie das Texten auf kleinem Bildschirm gewohnt sind; schnörkelloser auch, und sie kommen schneller auf den Punkt. Das hat auch mit dem hohen Tempo der Medien zu tun. Redaktionen stehen unter Zeitdruck. Und wo es eilt, wird vereinfacht.

Das beobachtet auch Frank Hänecke, der an der Schweizer Journalistenschule MAZ angehende Journalistinnen und Journalisten ausbildet. Junge Medienleute schrieben oft verständlicher und klarer, hebt er positiv hervor, ihre Sprache sei informeller, die Distanz zur Leserschaft kleiner: «Man bewegt sich auf Augenhöhe.» Der Einfluss der gesprochenen Sprache äussere sich aber auch in einem salopperen Ton, sagt Hänecke. Jüngere schrieben fehlerhafter, nach eigenen Regeln.

So prägnant wie politische PR

Zwar richtig, aber bald monoton – so klingt eine Reihung von kurzen Hauptsätzen wiederum in längeren Texten. Man wiederholt einen Namen in jedem Satz und bewahrt den Leser so vor dem Fadenverlieren. Das kann ein Stilmittel sein, so erzielt man Eingängigkeit. Deshalb entspricht einfache Sprache auch den Wünschen politischer PR. Für einen guten Satzrhythmus braucht es jedoch beides: kurze Sätze, die die Handlung beschleunigen, und lange Sätze, die Spannung aufbauen.

Die Zeiten sind in jedem Fall vorbei, in denen der Journalist der Leserschaft vorsetzen konnte, was er wollte. Und er für dumm hielt, wer ihn nicht verstand. Heute bemisst sich die journalistische Leistung über das Gelesenwerden. Die Haltung setzt sich durch, die im Boulevard schon immer galt: Steigt der Leser aus, ist einzig der Autor schuld.

Dennoch warnen Lehrer, Neuropsychologinnen und Bildungsbürger vor zu grosser Anpassung. Werde jeder Inhalt auf maximale Verständlichkeit reduziert, drohe Verflachung durch Vereinfachung. Das, was die deutsche Sprache ausmache, gehe so verloren. Sprachwitz etwa, Mehrdeutigkeit.

Der Sprach- und Medienwissenschafter Daniel Perrin sieht ein zusätzliches Risiko. «Aus Angst, die Lesenden zu überfordern, deutscht man alles aus. Das kann Texte unattraktiv und schwerfällig machen», sagt er. Dennoch ist Perrin keineswegs pessimistisch, was die junge Generation betrifft: Es werde schriftlich so viel kommuniziert wie nie zuvor, wenn auch fragmentarischer.

Geht man davon aus, dass der Sprachgebrauch das Denken beeinflusst, so ist die Sorge mancher Ausbildner verständlich. Mit einfacher Sprache wird es schwieriger, komplexe Gedanken zu vermitteln. Auf der anderen Seite verlernt man, zwischen den Zeilen zu lesen, Zusammenhänge herzustellen, Sprachbilder zu dechiffrieren.

Die Schönheit des Gedankens

Ähnlich argumentieren jene, die die Schönheit der deutschen Sprache bewahren wollen. Dass man Bücher lesen könne, wenn es einem um die Eleganz des Gedankens gehe, tröstet die Bildungselite nicht. Zumal heute auch die Werke grosser Dichter, von der Bibel bis zu Goethe, in einfache Sprache übersetzt werden. Entwertet das nicht das Original?

Doch, sagt der Wiener Philosoph und Publizist Konrad Paul Liessmann. Er kritisiert leichte Sprache als seichte Sprache – als neue Sprachnorm, die uns alle bequemlicher mache. Sie nehme den Menschen zudem die Möglichkeit, sich vielfältig auszudrücken. «Wer den Konjunktiv nicht mehr lernt, muss sich auf die Wirklichkeit beschränken», sagt Liessmann. «Er wird seiner Phantasie beraubt.»

Noch eine Ironie gibt es beim Bemühen um Inklusion. Indem man den Zugang zu Informationen für alle erleichtert, will man Diskriminierung bekämpfen. Sprachliche Korrektheit ist ein wichtiges Mittel im Kampf um Gleichstellung, in diesem Fall aber untauglich: Die Bezeichnung «geistig Behinderte» etwa ist eigentlich nicht mehr zulässig. Da sie für jeden verständlich ist, brauchen sie selbst Verfechter der Vereinfachung. Ungeeignet ist auch die gendergerechte Sprache, wenn man einfach schreiben will. Nicht nur Sternchen und Unterlinie sind Stolpersteine bei Leseschwäche. Sondern schon die Nennung der weiblichen neben der männlichen Form macht einen Text für diese Menschen unlesbar. Alle mit einzuschliessen, sperrt andere aus.

Birgit Schmid [NZZ 2021-05-17]

Ich danke der autorin vor allmen für den letzten absatz: eine sehr klare aussage - eine brilliante zusammenfassung. [KLD]

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 URL:  Created: 2021-05-18  Updated:
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