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«Das ist doch blanker Hass!»

Wird Political Correctness zum Problem? Ja, sagt Sibylle Lewitscharoff. Sie gefährde Errungenschaften, die wir nicht aufgeben dürfen.
Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff wehrt sich gegen intolerante Kleingeister.

Annick Ramp / NZZ

Im Gespräch mit Sibylle Lewitscharoff wird man manchmal unsicher. Vielleicht hat man sie ja falsch verstanden. «Louis- Ferdinand Céline zum Beispiel, oder Carl Schmitt» sagt sie plötzlich, «die sähe ich liebend gern in der Hölle schmoren.» Da gibt es nichts falsch zu verstehen. Nur, wenn sie das sagt, klingt es fast so gemütlich, wie wenn sie nur eben darauf hinweisen würde, dass ein Kalbsbraten erst dann herzhaft schmeckt, wenn man ihn reichlich mit Rosmarin würzt.

Vielleicht liegt es am schwäbischen Akzent, den sich die gebürtige Stuttgarterin nie abgewöhnt hat, obwohl sie seit mehr als vierzig Jahren in Berlin lebt. Vielleicht am verschmitzten Blick, mit dem sie leichthin Dinge sagt, die «man» eigentlich nicht sagt. Oder an der Art, wie sie markige Worte mit einem glucksenden Lachen bekräftigt. Man wartet fast darauf, dass sie ein heiteres «Ist doch wahr!» nachschiebt.

Meint sie das ernst? Nun, sie ist jedenfalls gern bereit, die Höllenqualen näher zu umschreiben, die sie sich für «Nazi- Kriechlinge» wie Céline und Schmitt ausmalt. So wie bei Dante halt. Da ist Sibylle Lewitscharoff Expertin. Ihr letztes Buch «Das Pfingstwunder» ist eine so fulminante wie irre Phantasie über die «Divina Commedia». Und in einem Punkt lässt dieser abgründig zwischen Himmel und Hölle mäandrierende Text keine Fragen offen: Die Frau kennt sich aus. Auch da, wo unsereinem Hören und Sehen vergeht.

Dumm und heuchlerisch

Sibylle Lewitscharoff hält ihre Meinung nicht zurück. Im Gespräch im Frühstücksraum eines Hotels in Zürich genauso wenig wie ein paar Stunden später, als sie auf Einladung der Progress Foundation in der Paulus-Akademie über Political Correctness sprach. Ihre Ansichten sind entschieden, und wo sie ihnen drastisch Nachdruck verschaffen kann, tut sie es sichtlich gern. Menschenverachtende Haltungen, Nazis oder Gewalttäter bringen sie zur Weissglut. Nur, Hölle hin oder her, in einem Punkt lässt sie nicht mit sich reden: Auch wennpolitisch oder menschlich zweifelhafte Literaten in der Hölle schmoren sollen, deren Bücher möchte sie nicht missen – wenn sie gut sind: «Man kann halt ein genialer Künstler sein und ein deplorables Leben führen. Beispiele gibt's genug.»

Dass das heute immer weniger unterschieden wird, hält sie für bedenklich. Nicht nur, wenn es um Literatur geht. Dass man ernsthaft darüber diskutiert, ob ein Bild von Balthus aus dem Metropolitan Museum entfernt werden soll, weil es ein junges Mädchen voyeuristisch darstellt; dass man in den USA Studenten vor Literatur warnt, die Sex- oder Gewaltdarstellungen enthalten; dass man ein Gedicht von Eugen Gomringer übermalt, weil das enthusiastische Lob von Blumen, Alleen und Frauen bei ein paar Studentinnen die Sexismus-Falle zuschnappen lässt: Das ist für Sibylle Lewitscharoff unerträglich. Weil sie es für dumm hält, für heuchlerisch. Diese Kleingeisterei zerstöre das Klima, in dem Kunst entstehen könne, sagt sie, das Klima der Toleranz. Das Klima der geistigen Freiheit, auch für Übertreibungen, wie sie nun einmal zur Kunst gehörten.

«Wenn alles sanktioniert wird, erstickt die Kunst». Das hält Lewitscharoff für eine Form von Barbarei. Und das klingt nicht mehr so gemütlich, wie wenn sie über die Höllenkandidaten aus ihrem literarischen Pantheon spricht. Solche Angriffe gingen immer von den spiessigsten Kleingeistern aus: «Von Leuten, die intellektuell nix taugen.» Von Menschen, die weder verstehen wollten noch könnten, dass Kunst mit Lust zu tun habe und sich halt nicht immer in den Bahnen des Braven, Wohlanständigen bewege. «Die wollen die Enge, die sie in ihren eigenen Köpfen haben, auch allen anderen überstülpen – denen, die mehr denken können, die weiter ausgreifen, die mehr erleben, vielleicht auch sexuell.»

Der verbissene Kampf für eine völlig übertriebene Political Correctness sei im Grunde Ausdruck von Hass, sagt sie. «Das ist doch blanker Hass auf Menschen, die es wagen, mehr auszuprobieren in ihrem Leben!» Dass Lust und Grosszügigkeit auch in der Kunst Grenzen haben, ist für Lewitscharoff keine Frage: «Diskriminierung, Missbrauch und Gewalt dürfen wir nicht hinnehmen.» Aber das verstehe sich ja eigentlich von selber.

Ein Klaps auf das Händchen

Nur, gerade das werde jetzt gefährdet. «Der Fortschritt wird zu einer Kippfigur», sagt Lewitscharoff. Der freiheitliche Geist, der erkämpft worden sei, auch von der Frauenbewegung, werde erstickt. «Wenn ich höre, dass Dozenten an amerikanischen Universitäten ihre Bürotüren offen lassen, wenn sie mit einer Studentin reden, kann ich nur den Kopf schütteln.»

Sex zwischen Studentinnen und Professoren? Klar, das habe es auch zu ihrer Studienzeit gegeben. «Meine Freundinnen und ich haben herzhaft darüber gelästert», sagt sie, und das glaubt man ihr genauso, wie wenn sie anfügt, als Opfer sei sie sich dabei nie vorgekommen. Der Philosoph Jacob Taubes, eine der Ikonen der Berliner 68er Bewegung, habe mehrmals nach ihr gegrapscht, als sie ihn im Auto nach Hause gefahren habe. «Aber was soll's?», fragt sie belustigt. «Ein kleiner Klaps auf sein neugieriges Händchen. Das war's.» Böse sei sie ihm nie gewesen.

«Liebe und Erotik leben doch vom Spiel», sagt Lewitscharoff. Davon, dass man sich auf etwas einlasse, das man nicht bis ins Letzte planen könne. Dass man Grenzen auslote. Und auch einmal eine Abfuhr kassiere. Aber das könnten junge Menschen heute gar nicht mehr lernen, weil der Pfad immer schmaler werde und fast schon jeder Schritt auf verbotenes Gelände führe. Das Resultat? Einerseits würden Liebe und Sexualität mit neuen Tabus belegt und masslos idealisiert.Anderseits wuchere im Untergrund eine Pornografie von nie gekannter Brutalität. Dazwischen staue sich ungelebte Sexualität auf. Und die Errungenschaften der Emanzipation würden
zerrieben. Die Hypermoral schaffe sich ihre eigenen Gespenster, sagt Sibylle Lewitscharoff. Und die um sich greifende Paranoia hindere uns daran, wirkliche Missstände von Übeln zu unterscheiden, die im Menschlich-Allzumenschlichen liegen. Das sei sowieso vergebens: «Gegen die ist kein Kraut gewachsen.»

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 URL:  Created: 2018-03-26  Updated:
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