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Die grassierende Political Correctness stört mich

33 Fragen an Gery Nievergelt, Chefredaktor «htr hotel revue»

Interview: Walter Hagenbüchle [die rote hervorhebung ist von KLD]

Haben Sie Ihre Karriere von Anfang an genau vor sich gesehen?
Als 20-Jähriger wollte ich ein weltberühmter Theaterregisseur werden, sass dann abgebrannt in deutschen Theaterkantinen herum, verliebte mich in eine angehende Journalistin und liess die Regie fahren. Das empfand ich als Niederlage. Später habe ich verstanden: Ich machte alles richtig. Lebensgestaltung ist ein Prozess, eine Art mäanderndes Gewässer, kein Kanal.

Ist die Weiterbildung im Management auf der Höhe der Zeit? Und aufgrund welcher Erfahrungen glauben Sie das beurteilen zu können?
Im Unternehmerverband Hotelleriesuisse, unserem Herausgeber, sind Führungsworkshops zu einem wichtigen Instrument permanenter Weiterbildung geworden. Auch was mein Team betrifft, ist das Interesse an Weiterbildungsangeboten deutlich gestiegen.

Sind wir diesbezüglich auf der Höhe der Zeit?
Wir steigen bergauf.

Wie lauten Ihre Führungsgrundsätze?
Kommunikation ist für mich zentral, und damit meine ich nicht die smart verpackten Botschaften des Marketings, hinter denen sich mittlerweile so viele Führungskräfte verstecken. Ich fördere das offene und direkte Gespräch, wo immer es geht, auch weil ich nicht einsehe, warum man zum Beispiel von Büro zu Nachbarbüro nur noch per Mail kommunizieren sollte.

Ist kompetente Unternehmensführung überhaupt erlernbar?
Ja. Aber nur, wenn zum Lernen auch die Selbstreflexion und das Arbeiten an sich selbst gehören.

Haben sich Ihre Führungsprinzipien im Lauf der Zeit verändert?
Ich habe gelernt, mehr zu delegieren und meinen Mitarbeitenden mehr Gestaltungsfreiraum zu geben.

Darf ein Chef auch Schwächen zeigen?
Sicher. Gerade die Generation Y kann mit einem unfehlbaren Chef nichts anfangen. Im Übrigen ist es schrecklich anstrengend und letztlich nutzlos, sich im Tagesgeschäft ständig zu verstellen. Menschen haben ein feines Gespür für die Schwächen ihrer Kolleginnen und Kollegen. Für die ihres Vorgesetzten sowieso.

Wie spüren Sie die Wirtschaftslage?
Ich spüre sie gleich dreifach, weil die Medienlandschaft umgepflügt wird, der Schweizer Tourismus bessere Rahmenbedingungen braucht und sich Nonprofitorganisationen wie ein Verband nach den gewandelten Bedürfnissen ihrer Mitglieder ausrichten müssen.

Hat die globale Arbeitsteilung positive Effekte gebracht?
Ich habe versucht, diese Frage einer Näherin in Indien weiterzuleiten, aber die Verbindung hat nicht geklappt.

Können Sie sich Alternativen zur Globalisierung vorstellen?
Wie jede Revolution wecken auch Globalisierung und Digitalisierung Gegenkräfte. Was schiefläuft, ist das herrschende Diktat: Wer sich nicht vorbehaltlos zu den Werten der Globalisierung bekennt, wird zum Hinterwäldler und ökonomischen Idioten gestempelt.

Was geht Ihnen auf die Nerven?
Die grassierende Political Correctness stört mich. Sie ist gut gemeint, aber fatal, da sie die Menschen vielleicht nicht zum Umdenken bringt, sicher aber zum Schweigen. Wir werden an Political Correctness noch ersticken.

Worüber können Sie herzlich lachen?
Ich lache zu wenig von Herzen. Wenn es einmal über mich kommt, spüre ich, wie gut es dem Herzen tut.

Was sagen Ihre Mitarbeiter über Sie?
Was sie über mich sagen, muss ich nicht wissen, sonst würden sie es mir sagen. Am Arbeitsplatz in Bern bin ich für einige Kolleginnen und Kollegen der typische Zürcher. Dazu gehört die «Züri-Schnure», aber auch das in Bern nicht so geläufige höhere Tempo.

Wie reagieren Sie auf Kritik?
Das hängt davon ab, wie Kritik vorgebracht wird.

Stellen Sie auch ehemalige Arbeitskollegen und Freunde ein, oder ziehen Sie unbeschriebene Blätter vor?
Wer in meinem Metier ein unbeschriebenes Blatt einstellt, ist verrückt. Mit dem Einstellen ehemaliger Arbeitskollegen bin ich vorsichtiger geworden. Jede Unternehmenskultur ist speziell, ob jemand ins Team passt, ist ebenso wichtig wie fachliche Kompetenz.

Sind Frauenquoten notwendig?
Nein. Aber bei der Zusammensetzung des Teams oder der Jury unseres Tourismuspreises Milestone achte ich auf Ausgewogenheit der Geschlechter.

Googlen Sie Kandidaten?
Wird das irgendwo nicht gemacht?

Falls Ihnen Ihr Smartphone abhandenkommt: Ist das ein Desaster für Sie?
Ich habe mich früh für zwei Smartphones entschieden, ein privates und ein geschäftliches, und habe diesen Entscheid nie bereut. So kann ich der Mail- Flut auch einmal entfliehen, ohne dass das Geschäfts-Handy gleich abhandengekommen ist. Aber wichtige Termine trage ich in beide Agenden ein.

Welchen Stellenwert haben für Sie soziale Netzwerke?
Ich bin gern auf Instagram, mir gefällt die Idee «one picture, one message ». Man rät mir oft, mich als Influencer für die Hotellerie- und Tourismusbranche zu positionieren. Aber so auf die Schnelle geht das nicht, und meine Follower-Zahlen sind eher bescheiden. Wenig anfangen kann ich mit Facebook. Ich finde es zu geschwätzig und moralisch aufgeladen.

Was halten Sie von Managern, die in der Öffentlichkeit mit wenig Schlaf und Wochenendarbeit auftrumpfen?
Sie sind für die junge Generation kein Vorbild mehr. Aber machen wir uns nichts vor: Arbeit ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Fetisch. Viele von uns arbeiten gerne und viel, sind aber dank den neuen Technologien effizienter und besser strukturiert.

Würden Sie Ihre Karriere gegebenenfalls zugunsten eines humanitären Einsatzes aufgeben?
Einer meiner Onkel war in der Entwicklungshilfe in Afrika und Asien engagiert. Als ich ihn als junger Journalist fragte, ob ich für eine gewisse Zeit in seiner Organisation mittun könnte, antwortete er: Bleib, wo du bist. Als Journalist nützt du der Sache mehr.

Wann und wo können Sie wirklich abschalten?
Ich will gar nicht abschalten. Wenn es am schönsten ist, will ich mit allen Sinnen aufgeschaltet sein.

Sind Vorbilder noch zeitgemäss oder eher hinderlich bei der Selbstverwirklichung?
Vorbilder sind wichtig – und wie! Aber Vorbilder haben ein Verfalldatum, man darf oder muss sie irgendwann auch wieder vom Sockel holen.

Was raten Sie dem Berufsnachwuchs?
Als Dozent am Medienausbildungszentrum (MAZ) rief ich den Studierenden in Erinnerung, dass Journalismus ein Handwerk ist, das es zu beherrschen gilt. Als Verantwortlicher für den Schweizer Tourismuspreis Milestone ermuntere ich angehende Hoteliers und Touristiker, in nachhaltig erfolgreiche Innovationen zu investieren und sich, wo immer möglich, zu vernetzen.

Wie wurden Sie durch Ihre Lehrpersonen eingeschätzt?
Für einige war ich etwas gar eigenständig. Anderen kam das gerade recht.

Hat Ihnen die Schule das wirklich Relevante vermittelt?
Nachdem wir uns durch das Gymnasium gequält hatten, das uns verknöchert erschien, produzierte ich mit Kolleginnen und Kollegen ein Theaterstück, in dem wir mit dem Schulbetrieb abrechneten. Wir durften es an etlichen Mittelschulen aufführen und mit den Schülern diskutieren, das Stück wurde gar fürs Fernsehen verfilmt. So arg verknöchert waren die Schulleitungen offenbar doch nicht.

Kommen Sie manchmal zu spät?
Sehr selten. Pünktlichkeit ist mir wichtig, vor allem bei Meetings, das weiss das Team. Es leuchtet mir nicht ein, warum man zum Beispiel um 9 Uhr 05 auftauchen kann, nicht aber wie vereinbart um Punkt neun

Könnten Sie im Kloster leben?
Ja. Aber das Kloster müsste sich in Richtung Resort entwickelt haben.

Glauben Sie an das Schicksal?
Das ist die philosophischste aller Fragen. Ich glaube, ich weiss es nicht.

Sind Sie zuversichtlich für die Schweiz?
Um die Schweiz mache ich mir nicht wirklich Sorgen. Allen Herausforderungen und Unsicherheiten zum Trotz: Wir sind enorm geübt, uns zusammenzuraufen und den Kompromiss zu finden – wenn auch in letzter Minute.

Welche Probleme sollte die Politik unverzüglich anpacken?
Politikverdrossenheit und den Verlust an Vertrauen in die Instanzen.

Eine Ihrer Lebensweisheiten?
Perspektiven können helfen, das Leben etwas gelassener zu sehen. Zum Beispiel: Den Ameisen sind wir Menschen völlig egal.

Gery Nievergelt, 62, ist seit 2012 Chefredaktor der Branchenzeitung «htr hotel revue» und der News-Plattform htr.ch sowie Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung im Unternehmerverband Hotelleriesuisse. Der Zürcher liess sich im Bieler Pressebüro Cortesi zum Journalisten ausbilden. Danach wirkte er auch als Redaktor und Konzepter bei Ringier, als Ressortleiter bei der «Sonntags-Zeitung», als Textchef bei «Annabelle» und als Chefredaktor der Seco-Zeitschrift «Arbeitsmarkt». Auch war er Dozent am Medienausbildungszentrum (MAZ). Gery Nievergelt ist verantwortlich für den vom Seco unterstützten Tourismuspreis Milestone. Der im Jahr 2000 ins Leben gerufene Wettbewerb, der die Innovationskraft von Hotellerie und Tourismusorganisationen fördern hilft, ist mittlerweile über die Branche hinaus bekannt. Die diesjährige Preisverleihung geht am kommenden Dienstag im Berner Kursaal über die Bühne..

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 URL:  Created: 2018-11-19  Updated:
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