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Verachtende Verdinglichung

Von Konrad Paul Liessmann

Die Universität, an der ich arbeite, ist in manchen Dingen sehr fortschrittlich. Nach einer Verordnung der Universitätsleitung sollen auch in persönlichen Anreden geschlechtsunspezifische Sternchen verwendet werden. Darüber ist viel diskutiert worden, und man kann über die ideologischen Beweggründe, sprachphilosophischen Vorannahmen und politischen Zielsetzungen solcher Massnahmen unterschiedlicher Meinung sein. Der Verdacht, dass es bei all den gewaltsamen Eingriffen in die Sprache nicht in erster Linie um den Ausgleich realer Ungerechtigkeiten durch Formulierungskünste geht, sondern um die Zurschaustellung der richtigen Gesinnung, lag dabei immer nahe. Was aber, wenn man selbst nicht zum Akteur, sondern zum Adressaten solch zweifelhafter Bemühungen wird? Manche Perspektiven können sich dann durchaus verschieben.

Neulich erreichte mich die Nachricht einer Mitarbeiterin der Verwaltung meiner Fakultät, in der ich als «Sehr geehrt* Liessmann» angesprochen wurde. Ich war verblüfft. Ich kenne die Absenderin seit zwei Jahrzehnten und habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich die in dieser Zeit verwendete Anredeformel «Sehr geehrter Herr» stets als korrekt empfunden habe. Nun werde ich – wahrscheinlich gar nicht aus Überzeugung, sondern aufgrund einer brav exekutierten Vorschrift – zu einem geschlechtsunspezifischen Wesen degradiert. Die Institution, an der ich seit Jahren tätig bin, tut so, als wüsste sie nicht, mit wem sie es zu tun hat. Es wäre ein Leichtes, nun mit all dem Geschütz aufzufahren, mit dem sonst für solch neue Sprachformen argumentiert wird: Durch das Sternchen fühlte ich mich in meiner Identität nicht wahrgenommen, durch die Tatsache, dass diese neue Anrede von jemandem kam, der mich im beruflichen Kontext gut kennt, in meiner Individualität zurückgesetzt, zurückgestossen in eine diffuse neutrale Allgemeinheit, die mit meiner Person nichts, mit vermeintlichen Gerechtigkeitsidealen aber alles zu tun hat.

Das gibt zu denken. Was bedeutet es, wenn Menschen und Institutionen aus Angst davor, Einzelne wegen einer falschen oder irrtümlichen Anredeformel zu verletzen, alle ihrer Besonderheit berauben und einem abstrakten Prinzip unterwerfen? Warum soll «Herr» oder «Frau» in einer Anrede verhängnisvoll, das Sternchen aber willkommen sein? Könnte man dieses nicht als eine Leerstelle empfinden, auf die der Mensch reduziert wird? Steckt im Asterisk neben der versprochenen Offenheit und der anvisierten Überwindung binärer Ordnungen nicht eine Unhöflichkeit, ja eine verachtende Form der Verdinglichung?

Sollte man, da nicht nur Anredefloskeln und Namen, sondern auch typografische Zeichen unterschiedliche Assoziationen auslösen können, auf solche Formen der Kommunikation nicht besser überhaupt verzichten? Steckt nicht in der Anrede selbst schon eine Zumutung? Diese scheuen wir zunehmend ohnehin, deshalb auch der Siegeszug des ärgerlichen «Hallo». Sollte man nicht gleich auf Zahlen umsteigen?

Wäre der Gerechtigkeit Genüge getan, wenn jeder Mensch nur noch als per Zufallsgenerator erzeugte Ziffernkombination existierte, die keinerlei Rückschlüsse auf Geschlecht, sexuelle Orientierung, kulturellen Hintergrund oder andere individuelle Eigenschaften mehr zuliesse und jede persönliche Anrede überflüssig machte? Wir kennen dieses Modell aus der dystopischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Menschen zu Nummern zu degradieren, kann tatsächlich aus einer grossen Sehnsucht nach Gleichheit und Gerechtigkeit entstehen. Manche Sehnsüchte sollte man lieber zügeln. Sonst drängte sich irgendwann der Gedanke auf, dass eine wirklich gerechte Gesellschaft eine ohne Menschen sein müsste.

Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien.

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 URL:  Created: 2020-03-18  Updated:
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