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«Bürger*innen», nein danke

Der Bund lehnt den Genderstern ab. Die sprachlichen Probleme sind den Behörden schlicht zu gross.

Sven Altermatt

Genug feminin - eine durchguck-kleidung.
Der Genderstern und ähnliche Schreibweisen sind in der Bundesverwaltung untersagt.Bild: Getty

Es ist ein Reizthema. Sollte man in der deutschen Sprache verschiedene Geschlechter besser berücksichtigen? Immer mehr Unternehmen, Organisationen und Hochschulen verwenden neue sprachliche Formen – allen voran den Genderstern. «Bürger*innen» heisst es dann etwa.

Damit werde niemand ausgeschlossen, finden die einen: Frauen ebenso wenig wie Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Die anderen befürchten, dass damit die deutsche Sprache verhunzt werde. Ihrer Meinung nach sind die Schreibweisen ideologisch motiviert.

Nun hat eine einflussreiche Stelle diesbezüglich einen Richtungsentscheid gefällt – ohne aktiv darüber zu informieren: Die Bundesverwaltung lehnt den Genderstern ab, das Gleiche gilt für weitere typografische Varianten wie den Gender-Gap («Bürger_innen») oder den Genderdoppelpunkt («Bürger:innen»). In amtlichen Publikationen und weiteren öffentlichen Verlautbarungen wird der Gebrauch explizit untersagt. Und selbst im Text einer Volksinitiative will man das Gendern nicht akzeptieren. Das geht aus einer neuen Weisung der Bundeskanzlei hervor.

Das sechsseitige Dokument regelt den «Umgang mit dem Genderstern und ähnlichen Schreibweisen» bei der Eidgenossenschaft. Es dürfte Signalwirkung haben. Denn: Auf die Weisungen des Bundes stützen sich amtliche Stellen im ganzen Land, wenn es um geschlechtergerechte Sprache geht. Gemeinden und Kantone ebenso wie Parlamente und Gerichte.

Zuständig dafür sind die «Zentralen Sprachdienste» in der Bundesverwaltung; eine Art Sprachpolizei der Eidgenossenschaft. Für sie steht fest: Zum einen leisteten Genderstern und Co. nicht, was sie leisten sollten. «Und zum andern verursachen sie eine ganze Reihe von sprachlichen Problemen.» Ausserdem sprächen sprachpolitische und rechtliche Gründe dagegen, heisst es in der Weisung weiter.

Inklusive Sprache, aber lieber nicht so

Auch in der Verwaltung tauchte der Genderstern zuletzt immer mal wieder in einem Dokument auf. Grundsätzlich anerkennt die Bundeskanzlei das Anliegen, eine Sprache zu verwenden, die möglichst alle einbezieht und niemanden ausschliesst.

Man sei sich bewusst, «dass Menschen, die vom herkömmlichen binären Geschlechtermodell nicht erfasst werden, auch in einer Sprache, die ebenfalls nur zwei Geschlechter kennt, nicht gleich repräsentiert sind wie Frauen und Männer». Der Genderstern jedoch habe nach wie vor vorwiegend «den Aspekt eines Statements», findet die Bundeskanzlei. Die Schreibweise ist aus ihrer Sicht ideologisch motiviert. Wörtlich spricht sie vom «Ausdruck einer bestimmten gesellschaftspolitischen Haltung» und bilanziert: «Der Bund sollte mit seinen Texten keine solchen Statements abgeben, bevor die entsprechenden gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Diskussionen geführt und entsprechende Beschlüsse gefasst worden sind.»

In Bern sorgt man sich auch um die Lesbarkeit

Im Einzelnen führen die Sprachspezialisten einen Strauss an Gründen gegen den Genderstern an. Angefangen bei der fehlenden Entsprechung in der gesprochenen Sprache und einer Beeinträchtigung der Lesbarkeit.

In der Praxis wollen die Sprachpolizisten des Bundes rigoros handeln. So darf der Genderstern gemäss Weisung selbst in verknappten Texten nicht verwendet werden. Wenn eine Ständerätin oder ein Nationalrat ihn in einem Vorstoss benutzt – was immer häufiger vorkommt –, darf die Verwaltung in ihren Dokumenten das Sternchen grundsätzlich nicht wiedergeben.

Gegenderte Volksinitiativen werden «unter Verweis auf die Schreibweisungen des Bundes» nicht akzeptiert. Das gleiche gilt für die Komitees von Initiativen und Referenden, wenn sie entsprechende Texte für das Abstimmungsbüchlein abliefern.

Dass der Bund das Thema äusserst ernst nimmt, beweist sein fast 200 Seiten umfassender Leitfaden für den geschlechterkorrekten Sprachgebrauch aus dem Jahr 2009. So gilt in der Verwaltung weiterhin: Texte müssen «geschlechtergerecht» verfasst werden. Zur Auswahl stehen unter anderem Paarformen («Bürgerinnen und Bürger») oder geschlechtsabstrakte Formen («versicherte Person»). Nicht erlaubt ist das generische Maskulinum («Bürger»).

Das allerletzte Wort dürfte freilich noch nicht gesprochen sein. Die Bundeskanzlei will ein Auge darauf haben, wie sich das Ganze entwickelt. Aufmerksam verfolge man die «Entwicklungen im Zusammenhang mit einer geschlechtergerechten Sprache», hält sie in schönstem Behördendeutsch fest.

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 URL:  Created:2021-06-23  Updated:
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