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Wir brauchen klare Worte, keine leichte Sprache

Das Konzept «Leichte Sprache» ist gut gemeint, aber leider schon im Ansatz falsch. Behörden sollten mit ihrer Sprache die Wirklichkeit nicht vereinfachen, sondern klarer machen.

Ludwig Hasler

Klipp und klar, träf und wahr» hiess das Heft, mit dem wir Schüler trainierten, was man damals «Wortschatz» nannte. Täglich 15 Minuten. Der Lehrer rief «still», wir brüllten «ruhig», der Lehrer rief «ruhig», wir schrien «leise». Der Lehrer erklärte die Nuancen, Stille sei mehr innerlich, Ruhe mehr äusserlich, das Leise eher akustisch, oder andersherum, wir folgten ihm, so gut wir konnten. Es ging um nichts als Worte – und doch ahnten wir, dass es in der Sprache um weit mehr geht: um den sagenhaften Variantenreichtum, den das Leben hergibt, wenn wir aufmerksam mit ihm sprechen.

Je reicher die Sprache, umso bunter die Welt der Dinge, die Welt der Empfindungen. Sprache ist mehr als Vehikel für Mitteilungen. Sie benennt nicht erst, was wir wahrnehmen, sie zaubert Bedeutungen hervor. Sprache zeugt Welt. Kurz – mit Ludwig Wittgenstein: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt. Leichte Sprache? Klare Worte!

Wie passt das pädagogische Konzept «Leichte Sprache», das in der letzten Ausgabe dieser Zeitung vorgestellt wurde, da hinein? Seine Anwälte argumentieren so: Unsere komplexe Welt überfordere die Sprachkompetenz vieler, die trotzdem am kollektiven Gespräch teilhaben wollen und sollen; also brauche es den «barrierefreien Zugang» zu Informationen, eine Sprache ohne Genitiv und Konjunktiv, ohne Passiv und Synonym, ohne detaillierte Angaben: Alexander Fleming kam dem Penicillin nicht 1928 auf die Spur, sondern «vor langer Zeit». Ganz viele Piktogramme.

Sprache auf Schwundstufe. Wem bringt die was? Mehr kommunikativen Anschluss den Behinderten? Mehr Komfort den Bequemen, denen sowieso schon alles zu anstrengend, zu kompliziert ist? Mehr Illusion den Komikern, die unbedingt Karriere machen wollen, aber zu faul sind, je etwas anderes zu lesen als «20 Minuten»? Die Komplexität der Welt können wir nicht auf jede Sprachkompetenz herunterbrechen. Pädagogisch mag sich reimen: Je schwieriger die Welt, desto leichter – bitte! – die Sprache. Tatsächlich gilt: Versimpeln wir die Sprache, bagatellisieren wir die Wirklichkeit. Das ist nicht anders bei den Summaries, in die Shakespeares Dramen extra für Leseunwillige verdünnt werden. Wem hilft es, wenn wir jede Schwäche erleichtern – statt stärken? Ich zum Beispiel höre nicht mehr so gut, gehe trotzdem gern in Konzerte, ich liebe Gustav Mahler. Soll ich jetzt «Leichte Musik» fordern, Mahler-Konzerte für Schwerhörige, die ganze Partitur in mittlere Tonlagen transponiert, für begrenzte akustische Kompetenzen?

Jetzt aber konstruktiv. Könnte es sein, dass manche von «leichter» Sprache reden – und eine «klare» meinen? Auch Klarheit macht Sprache leichter – aber aus der Sache heraus; sie arbeitet an der Sache, bis diese selber spricht, unverstellt. Die Erleichterungs-Offerte kümmert sich um keine Sache, sie senkt die Schwelle des Zugangs, verlangt open access, ohnehin das Schlagwort der Stunde, müheloses Andocken an Informationsströme. Vielleicht käme sie ihrem pädagogischen Ziel näher, sorgte sie sich nicht allein um die Leichtigkeit des Empfangs, sondern um die sprachliche Klarheit der Sendung. Da hapert es nämlich, und das ist ein Problem nicht nur für manche mittlere Sprachkompetenz, sondern für die Fitness der Republik.

Nehmen wir eine harmlose Mitteilung, wie sie täglich kursiert: «Dass längerfristig, primär aus Gründen der demografischen Alterung, ein finanzieller Mehrbedarf droht, hat der Bundesrat nicht in Abrede gestellt.» Das sind so Sätze, die tropfen bei den meisten ab. Typisch Sprachbeamte, beginnen mit dem Nebensatz, verschachteln den Rest und vernebeln, statt zu klären. «Längerfristig»? Noch länger als langfristig? «Primäre Gründe der demografischen Alterung»? Altert nun bereits die Demografie? Jedenfalls droht ein «finanzieller Mehrbedarf». Wie ein Gewitter. Es blitzt, es donnert, es stürmt – es droht der Mehrbedarf. Reine Meteorologie. Macht des Schicksals. Was sagt der Bundesrat dazu? Stellt «nicht in Abrede». Aber auch nicht in Zurede, oder so? Was ist nun – sagt der Bundesrat Ja oder Nein?

Man muss gar nicht erst die Migranten bemühen, um sich zu fragen: Ist diese Offizialsprache – Stanzwörter, Leerformeln, Nebelpetarden – Information oder doch eher Einschüchterungsprosa? Der Bürger versteht Bahnhof – und hängt ab. Mehr Leichtigkeit holt ihn auch nicht zurück. Da müssen vielmehr klare Worte her. Die Welt beschreiben als umstrittenes, also komplexes Drama, jedoch so, dass alle sich darin als Akteur sehen können. Also in einer Sprache, die Laien verständlich wird. Der Laie, sagte Max Frisch, das ist ein Mensch, der sich in seine eigenen Angelegenheiten einmischt.

Bei Max Frisch, übrigens, lässt sich die Kunst der klaren Worte prima lernen.

Ludwig Hasler, 72, ist Publizist und Philosoph. Als Philosoph lehrte er an den Universitäten Bern und Zürich. Als Journalist war er in der Chefredaktion beim «St. Galler Tagblatt» und der «Weltwoche». Seit 2001 wirkt er als freier Publizist. Zuletzt erschien von ihm der Essayband «Des Pudels Fell. Neue Verführung zum Denken».

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 URL:  Created: 2017-02-10  Updated:
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