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Auf Deutsch gesagt

Lieber Ludwig
(Samantha Zaugg schreibt in der Kolumne Jung & Alt alternierend mit Ludwig Hasler, Philosoph, 77)

Die Hölle, das sind die anderen. Hat schon Jean-Paul Sartre gesagt. Die, die am Skilift im Weg stehen, die dir auf der Sonnenterrasse den Platz wegnehmen oder mit den Bergbahnen die Alpen verbauen. Alles die anderen. Du hast schon recht, mein Skiausflug hat mir meine Ambivalenz mal wieder gezeigt. Ich will fortan weniger moralisierend sein.

Die andern, das bin ich ja immer auch selbst. Die Hölle gibt’s auch wegen mir. Ausser etwas! Es gibt etwas, das sind wirklich die anderen! Da habe ich nichts damit zu tun! Viele alte Leute werden mir zustimmen. Neulich war ich am Bahnhof und wollte einen Kaffee holen. Ich will einen grossen Kaffee mit Milch, der kein Cappuccino ist. Also eigentlich will ich eine Schale. Aber auf der Tafel steht nur Flat White, Americano, Cold Brew und lauter so Zeug. Ich stehe im Kaffeeladen wie der Esel am Berg. Schliesslich gebe ich auf und frage die Verkäuferin, ob es denn nicht menschenmöglich sei, dass sie mir einfach eine Schale mache? Sie ist sehr nett und erklärt mir, das sei der Flat White. Dann zuckt sie mit den Schultern und sagt, sie wisse auch nicht, wieso sie nicht einfach alles auf Deutsch anschreiben können.

Ja, das frage ich mich auch! Das mit dem Kaffee ist ja erst der Anfang! Beim Sport ist es genauso. Die Leute sagen, sie gehen zum Work-out. Da machen sie dann Squats, Push-ups, Burpees. Dabei heisst das, ich geh zum Turnen und mach paar Kniebeugen, Liegestütze und Froschhüpfen.

Versteh mich nicht falsch. Bei manchen Dingen machen englische Wörter Sinn. Bei neuen Erfindungen, beim Computer zum Beispiel. Früher hat man das noch eingedeutscht, der Computer war der Rechner, das Internet das Netz. Aber ich find schon in Ordnung, wenn neue Sachen einfach heissen, wie sie heissen. Ich bin nur Sprachpuristin bei Wörtern, dies schon gibt. Willst du zum Schluss mein bestes Beispiel hören, von Sachen, dies schon ewig gibt, und die jetzt plötzlich cool sind, weil sie einen englischen Namen haben? Also pass mal auf: Porridge! Das ist seit einiger Zeit ein Ding, und das ist auch in Ordnung, denn es ist schmackhaft und gesund und alles. Aber ist es denn zu fassen? Porridge gibt’s schon ewig und eigentlich heisst das Habermus! Oder meinetwegen Haberbrei. Die Steigerung von Porridge ist übrigens Overnight Oats, das sind Haferflocken, die man über Nacht mit Wasser oder Milch im Kühlschrank stehen lässt. Also Müesli von gestern quasi.

Dass alte Sachen plötzlich neue Namen haben und dann angesagt sind, darüber beschweren sich alte Leute ja gerne. Wenn ich so drüber nachdenke, kann ich das verstehen. Muss komisch sein, wenn einem die Welt, in der man sich bewegt, allmählich fremd wird. Weil die eigene Sprache aus der Zeit fällt. Geht’s dir manchmal auch so?

Samantha Zaugg [LUZ 2022-02-19], Journalisting, Fotograin, Filmemacherin, 27

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 URL:  Created: 2022-02-21  Updated:
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